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Landeskirchentag der Ev.-ref. Kirche in Nordwestdeutschland, 10.5.1984

Der Landeskirchentag der Ev.-ref. Kirche in Nordwestdeutschland hat die Theologische Erklärung von Barmen 1934 auf das Verhältnis von Kirche und Israel hin bedacht. Er versteht die Barmer Erklärung als wichtigen ersten Schritt und tut einen notwendigen nächsten. Dabei nimmt er Anstöße der Tagung der Gesellschaft für Evangelische Theologie und des Reformierten Bundes vom März 1984 auf und sagt:

2. Mose, 20,2: Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft geführt habe. Du sollst keine andern Götter haben neben mir.

Johannes 4,22: Das Heil kommt von den Juden.

Der Jude Jesus Christus, der für Israel und die Völker gekreuzigt worden ist, ist das eine Wort Gottes, wie es uns in den Schriften des Alten und des Neuen Testaments bezeugt ist und für dessen Verstehen wir als Kirche auf das Judentum angewiesen bleiben.

Jesus Christus, der Messias Israels und Versöhner der Welt, ist vom messianischen Gottesvolk der Juden nicht zu trennen. Wer die Juden verwirft, verwirft Jesus Christus (Dietrich Bonhoeffer). Antisemitismus ist Sünde wider den Heiligen Geist (Karl Barth).

Aus dieser Erkenntnis heraus wollen wir umkehren - weg von allen antijudaistischen Vorstellungen und Vorurteilen in der christlichen Theologie und kirchlichen Praxis, durch die wir den gesellschaftlichen Antisemitismus gefördert und uns als Kirche an der Bedrohung, Unterdrückung und physischen Auslöschung bis hin zum Holocaust schuldig gemacht haben.

Wir verneinen die Meinung, daß das Judentum als das ursprüngliche Gottesvolk von der Kirche überholt oder ersetzt sei. Wir verneinen die Meinung, die Kirche könne auf das Zeugnis und Selbstverständnis des Judentums verzichten.

Mit ihrer gemeinsamen Hoffnung auf die Verheißungen und die kommende messianische Welt Gottes sind Juden und Christen zum Aufbau einer durch Recht, Gerechtigkeit und Frieden bestimmten Weltgesellschaft berufen.

Deshalb bitten wir die Gemeinden und die Bezirkskirchenverbände, aber auch die anderen Kirchen, sich mit allen Formen des Antijudaismus in Theologie und Kirche, in Verkündigung und Unterricht kritisch auseinanderzusetzen, dem Wiederaufleben des Antisemitismus in unserer Gesellschaft zu widerstehen, sensibel zu werden für die Leidens- und Hoffnungsgeschichte des jüdischen Volkes und gegen einen pauschalisierenden Antizionismus aufzustehen, der Israel eine freie und unabhängige Existenz abspricht.

Belastet mit unserer Schuld am Holocaust erscheint uns die Vorstellung ungeheuerlich, daß deutsche Waffen im Konfliktfall gegen die überlebenden Opfer des Holocaust, gegen ihre Kinder und die übrigen Teile des jüdischen Volkes in Israel eingesetzt würden. Wir beten und hoffen, daß Israel und seine Nachbarn zu einem Leben in Frieden und Gerechtigkeit finden werden.